Landgericht Berlin – Az. 46 S 58/22 – fraglich ist, ob der Versicherungsschutz eines Fahrers bzw. Halters entfällt, wenn dieser sich nach einem Unfall unerlaubt entfernt. Damit hatte sich nun auch das LG Berlin zu beschäftigen.
Die zentrale Frage des Urteils lag darin, ob der Kausalitätsgegenbeweis des § 28 Abs. 3 VVG in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort greift. Gem. der Norm ist der Versicherer trotz einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers zur Leistung verpflichtet, wenn die Obliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.
Zu den sog. Obliegenheiten zählt die Aufgabe des Versicherungsnehmers, den Versicherer unverzüglich vom Eintritt des Versicherungsfalles zu unterrichten. Diese hat der Versicherungsnehmer in dem Fall, in dem er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, unstreitig nicht erfüllt. Das Gericht war nun aber mit der Frage beschäftigt, ob der Kausalitätsgegenbeweis gilt oder nicht. Jedenfalls war es der Auffassung, er gelte nicht deswegen nicht, weil der beteiligte Versicherungsnehmer arglistig gehandelt habe. Arglist gegenüber dem Versicherer setzt eine böswillige Absicht gegenüber dem Versicherer voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die pauschale Annahme, dass in Fällen des § 142 StGB, also des unerlaubten Entfernens vom Unfallort, stets Arglist vorliegt, aber unzulässig. Zudem ist ein Verkehrsunfall häufig mit einer gewissen Überforderung verbunden, sodass im Falle des unerlaubten Entfernens die pauschale Annahme der Arglist nicht gerechtfertigt sei. Typischerweise macht sich der Versicherte in einer solchen Überforderungssituation vorrangig keine Gedanken über seine Haftpflichtversicherung. Auch ist in dem Zusammenhang anzumerken, dass ein „erfolgreiches“ Entfernen vom Unfallort dem Haftpflichtversicherer insofern sogar eher von Vorteil ist, als dass ihn in diesem Fall keine Verpflichtung zur Schadensregulierung träfe. Das Gericht kam somit zu dem Schluss, dass in diesem Falle der Versicherte nicht arglistig gehandelt und die Annahme des Kausalitätsgegenbeweises zumindest nicht aus diesem Grunde ausgeschlossen ist.
Auch lagen in dem vom Gericht zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen des Kausalitätsgegenbeweises vor. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort war nicht ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles und auch nicht für die Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers. Ein Zeuge hat den Unfall beobachtet und diesen sofort der Polizei gemeldet. Anschließend erschien die Polizei und befragte den beklagten Versicherungsnehmer in einem nahe dem Unfallort gelegenen Café. Hätte der Beklagte selbst den Versicherer informiert, wären das Unfallgeschehen und der anschließende Vorgang nahezu identisch gewesen, sodass sich das Verhalten des Versicherungsnehmers nicht zum Nachteil des Versicherers auf den Geschehensablauf ausgewirkt hat.
Fazit: Ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort führt nicht zwangsläufig zur Leistungsfreiheit des Versicherers.